9. November 2018
Gedenken der November-Pogrome 1938 (violett) Erinnerung und Umkehr
Wer weiß, Gutes zu tun, und tut’s nicht, dem ist’s Sünde Jak 4,7
Der 9. November soll künftig als alljährlicher Gedenktag begangen werden. „Seine Ordnung ist auf das Gedenken der Novemberpogrome 1938 ausgerichtet...“, erinnert also an die vom nationalsozialistischen Regime organisierte und gelenkte Gewaltmaßnahmen gegen Juden im gesamten Deutschen Reich, bei denen etwa 400 Menschen ermordet oder in den Selbstmord getrieben, über 1.400 Synagogen, Betstuben und sonstige Versammlungsräume sowie tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe zerstört wurden. Die Pogrome markieren den Übergang von der Diskriminierung der deutschen Juden seit 1933 zur systematischen Verfolgung im nationalsozialistischen Deutschland.
Es gibt bereits verschiedene Entwürfe zur Gestaltung dieses Tages, der im Zuge der Perikopenrevision neu eingeführt wurde. Der folgende Vorschlag folgt stärker dem Ablauf der überkommenen Liturgie und nimmt vor allem weitere kirchliche Anregungen auf.
Vorspiel oder Stille
Eröffnung (Begrüßung)
Gnade sei mit uns und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. R: Amen.
Vor Gott, in seiner Gnade und Barmherzigkeit der Richter der Welt, gedenken wir heute der Grauen, die unser Volk über die Juden Europas gebracht hat: der Pogrome im Deutschen Reich (vor 80 Jahren,) am 9. November 1938, der unzähligen Demütigungen, die schon zuvor stattgefunden hatten, der Qualen der Ausgrenzung und der Deportationen, des himmelschreienden Elends in den Ghettos, der millionenfachen Morde in den Todesfabriken der Konzentrationslagern. Es fällt uns schwer, diese Verbrechen als Teil unserer Geschichte anzunehmen und zu begreifen, dass sie nie verjähren. Diese Wunde wird im Gedächtnis des jüdischen Volkes nie verheilen. Gott mache uns empfindsam für den bleibenden Schmerz der Überlebenden (und ihrer Nachkommen) und ihre leicht zu entfachende Angst. Er mache uns wachsam gegen alte und neue Feindbilder. Gott lasse uns aus der Erinnerung an das Böse Kraft zum Guten erwachsen. (a)
oder
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. G: Amen.
Unsere Hilfe steht im Namen des HERRN,
G: der Himmel und Erde gemacht hat.
Als Nachgeborene kommen wir vor heute zusammen, um der Novemberpogrome von 1938 zu gedenken. Wir spüren: die Geschichte der Judenfeindschaft hat auch mit uns heute zu tun. Wir fühlen, der Boden schwankt. Fassungslos erscheint uns, wie die Christen und Kirchen damals in das Geschehen verstrickt waren. Wir sehen den Widerspruch zwischen der Botschaft, die uns Christen anvertraut ist, und den Verhalten, das so oft ganz anders war und ist. Wir können kaum glauben, was damals in unserem Land geschehen ist, wir möchten schweigen, aber wir müssen reden. Wir suchen nach einem Ort für unser Gedenken. Wir wollen nicht vor den damals Leidenden davonlaufen. Wir spüren, die Gewalt von heute und gestern haben miteinander zu tun. So schmal der Grat. Wir brauchen Veränderung in Theologie, Kirche und Gottesdienst. Wir fragen nach Rat. Wir vertrauen auf Gott. (b) - Lassen wir uns mahnen durch eine Lesung für diesen Tag: Errette, die man zum Tode schleppt, und entzieh dich nicht denen, die zur Schlachtbank wanken. Sprichst du: Siehe wir haben’s nicht gewusst! Fürwahr, der die Herzen prüft merkt es, und der auf deine Seele acht hat, weiß es und vergilt dem Menschen nach seinem Tun. (Spr 24,11.12)
Lied zum Eingang: Nimm von uns, Herr, du treuer Gott (EG 146,1-3)
Psalmgebet
Votum: So spricht der Hohe und Erhabene, der ewig wohnt, dessen Name heilig ist: Ich wohne in der Höhe und im Heiligtum und bei denen, die zerschlagenen und demütigen Geistes sind, auf dass ich erquicke den Geist der Gedemütigten und das Herz der Zerschlagenen. Jes 57,15
Psalm 38 - Herr, strafe mich nicht in deinem Zorn (EG 721)
statt Gloria patri: Agios o Theos - Heiliger Herre Gott (EG 185.4)
oder
Psalm 74,1-3.8-11.20.21 – Gott, warum verstößest du uns für immer (EG.E 70)
oder Anrufung
Der HERR ist nahe denen, die zerbrochenen Herzens sind,
R: und hilft denen, die ein zerschlagenes Gemüt haben. (Ps 34,19)
Barmherziger Gott. Wir bringen vor dich die Opfer der Novemberprogrome und alle Opfer der Shoah, die der Heimtücke und Bosheit unseres Volkes zum Opfer gefallen sind, auch die Überlebenden der Judenverfolgung, die bis heute gekennzeichnet sind von dem erlittenen Grauen. Lass sie nicht vergessen werden; gedenke du selber ihrer Tränen und schaffe ihnen Recht. (Wir rufen)
R: Heiliger Herre Gott... (EG 185.4)
Weil wir ahnen, wozu auch wir fähig sein können, weil wir unserer selbst nicht mehr so sicher sind, weil wir das Böse in uns und um uns nicht verharmlosen oder wegreden wollen, bitten wir dich: Gib uns Klarheit und Halt und bewahre uns vor schwerer Prüfung. (Wir rufen)
R: Heiliger Herre Gott... (EG 185.4)
Wir bitten dich auch für alle, die in diesen Tagen schuld sind an der Zerstörung menschlichen Lebens, auch für die, die Entsetzen um sich verbreiten, die Lust daran haben, andere zu quälen: Richte du sie, ändere sie, mach sie empfindsam für fremdes Leid. (Wir rufen)
R: Heiliger Herre Gott... (EG 185.4)
Nimm von uns, Herr, alle unsere Selbstgerechtigkeit und vergib uns unsere Schuld. Mache uns bereit, nach deinem Willen zu leben und achtsamer zu werden miteinander. Lehre uns Ehrfurcht vor dir und vor dem Leben. (Wir rufen) (c)
R: Heiliger Herre Gott... (EG 185.4)
Tagesgebet
Beten wir in der Stille zu Gott, dem Heiligen Israels, der das Leiden seines Volkes nicht vergisst:
- Stille -
Ewiger Gott, Richter der Welt. Nicht nur einmal mussten jüdische Menschen die Zerstörung ihrer Gotteshäuser beweinen. Nicht nur einmal hat die Gewalttätigkeit der Feinde ihr Leben zerstört und sie in Angst versetzt. Nicht nur einmal mussten sie in die Fremde gehen und den Verlust alles dessen betrauern, was ihnen Heimat war. Nicht nur einmal wurden unzählige von ihnen ermordet. Im Holocaust hat das Grauen ein unfassbares Ausmaß erreicht. Doch du Gott, du Heiliger Israels, vergisst das Leiden deines Volkes nicht. Du hast alle seine Tränen gesammelt und wirst seine Peiniger zur Rechenschaft ziehen. Gott, vor dir können wir die Schuld unserer Kirche nicht verbergen: die jahrhundertelange Missachtung und Verfolgung der jüdischen Gemeinschaft, das Schweigen, wo Widerstand nötig gewesen wäre. Wir bitten dich, gerechter Gott: Vergib uns um deiner Barmherzigkeit willen und stell uns deinem Volk in neuer Achtsamkeit zur Seite. (d)
oder
Wir bringen an diesem Tag vor dich, Gott, die Opfer der Novemberprogrome von 1938 wie die Trauer um die Toten der Vernichtungslager in den folgenden Jahren. Wir bringen vor dich auch das Entsetzen über die Unmenschlichkeit der Peiniger. Wir tasten nach Worten, wenn wir davon reden wollen, und
finden oft keine, die uns angemessen erscheinen. Bewahre uns vor Oberflächlichkeit wie vor zu großen Worten. (e)
oder
Du Gott Israels und Vater Jesu Christi, wir sind hier vor dir versammelt, weil uns die Taten vor 80 Jahren keine Ruhe lassen. Menschen aus unserem Volk haben Juden, Menschen aus deinem Volk, angegriffen, Synagogen in Brand gesetzt, Tora-Rollen verbrannt, Geschäfte und Wohnungen zerstört, Menschen gedemütigt, gequält und getötet, weil sie Juden waren – aus keinem anderen Grund. Erschrocken macht uns der lodernde Hass. Fassungslos macht uns die helle Freude an der Zerstörung. Ruhelos macht uns die Kälte derer, die zwar nicht mitmachten, sondern zu- und wegsahen. Waren es nicht auch Christen und Christinnen? Wieviel davon ist auch heute wieder zu hören? So sind wir gefordert und so bitten wir dich: Lass uns nicht allein. Sei mitten unter uns. Lehre und leuchte uns. Lass uns deine lebendige Stimme hören und öffne unsere Herzen für dich und füreinander. Sorge du dafür, dass wir gestärkt werden, etwas mutiger, etwas klarer, aber auch fröhlicher, freier und lebendiger sind, wenn wir wieder auseinandergehen. (f)
Lesung (als dem Alten Testament): Sprüche Salomos, 24,10-12 – Errette, die man zum Tode schleppt
Antwortgesang: Aus tiefer Not schrei ich zu dir - EG 299,1+2
oder
Graduale: Psalm 74,1-3.8-11-20.21 – Gott, warum verstößest du uns für immer (EG.E 70)
oder Psalm 38 - Herr, strafe mich nicht in deinem Zorn (EG 721)
Epistel: 1. Petrus 5,8.9 - Widersteht eurem Widersacher, dem Teufel
Antwortgesang: Darum auf Gott will hoffen ich - EG 299,3+4
oder
Traktus: Epheser 6,13 – 15 – Ergreift die Waffenrüstung Gottes
Evangelium: Markus 14,68-72 - ... und Petrus fing an zu weinen
Antwortgesang: Ob bei uns ist der Sünden viel – EG 299,5
oder
Lied des Tages: O Herr, nimm unsrer Schuld (EG 235,1-4)
[ Texte (g)
Ansprache zu einer der biblischen Lesungen
Besinnung (Musik oder Stille oder Lied)
Bekenntnis (Klagepsalm)
Der HERR wendet sich zum Gebet der Verlassenen
R: und er verschmäht ihr Gebet nicht (Ps 102,18)
In Stille erinnern wir vor Gott das Grauen, das unser Volk seit den Novemberpogromen 1938 über die Juden Europas gebracht hat:
Täglich schmähen mich meine Feinde, und die mich verspotten, fluchen mit meinem Namen. Denn ich esse Asche wie Brot und mische meinen rank mit Tränen.
Psalm 102 - ohne Doxologie – Herr, höre mein Gebet (EG 741)
Bußgebet
Barmherziger Gott. Es ist in unserem Volk und durch Menschen aus unserem Volk geschehen: Die Gotteshäuser der Juden gingen in Flammen auf, Geschäfte wurden zertrümmert, Wohnungen ruiniert und geplündert, Mitbürger in Angst und Schrecken versetzt; Menschen in Verzweiflung und Tod getrieben. Zu dir, Gott, rufen wir:
G: Herr, erbarme dich.
Barmherziger Gott, es ist in unserem Volk und durch Menschen aus unserem Volk geschehen: Auch Christen aller Kirchen sahen zu, Christen schauten beiseite, Christen schämten sich, doch nur wenige taten etwas. Gutes wurde unterlassen und Böses getan. Zu dir, Gott, rufen wir:
G: Herr, erbarme dich.
Barmherziger Gott, dieses Unrecht ist nicht ungeschehen zu machen: Das Verbrechen der Nacht des Pogroms ist zum Fanal geworden für noch größeres Unheil im Namen unseres Volkes, für den Mord an Millionen von Juden, für den Krieg mit Abermillionen Toten, für das Unheil, das unser Volk auch über sich selbst brachte. Zu dir, Gott, rufen wir:
G: Herr, erbarme dich.
Barmherziger Gott, in deiner Hand sind alle, die durch Schuld der Menschen haben sterben müssen. Die wir nicht kennen, du kennst sie. Von deren Leiden wir keine Vorstellung haben, du kennst sie. Die unbekannt und unbeweint an irgendeinem Ort dieser Erde ruhen, du kennst sie. Ihrer gedenken wir in dieser Stunde, der unschuldigen Opfer von Rassenwahn und Unmenschlichkeit. - Stille -
Zu dir, Gott, rufen wir:
G: Herr, erbarme dich.
Barmherziger Gott, wo keine Entschuldigungen oder gar Ausreden verfangen, wo wir ratlos sind und die abgründigen Tiefen des Menschen erkennen, da rufen wir aus der Tiefe unserer Not zu dir. Von deiner Gnade und unverdienten Barmherzigkeit erhoffen wir neuen Beginn mit all denen, die durch unser Volk gelitten haben. Zu dir, Gott, rufen wir:
G: Herr, erbarme dich.
Barmherziger Gott, gib uns die Einsicht, dass nur deine Vergebung, die du uns in Jesus Christus zuteil werden lässt, uns in eine bessere Zukunft führen kann. (h)
oder Fürbitten (mit Entzündung von Kerzen)
Lasst uns beten. (Nach jeder Bitte entzünden wir eine Kerze als Zeichen für den Heiligen Geist, der uns mit seinem Licht im Alltag leiten möge.)
Lebendiger Gott, du hältst deinem Volk Israel bis heute die Treue. Durch Jesus Christus sind wir mit deinem Volk verbunden. Durch Jesus haben wir Anteil an deinen Verheißungen. Hilf, dass wir uns gegenseitig wahrnehmen und annehmen können als deine wertvollen Geschöpfe und geliebten Kinder. Wir rufen zu dir:
Gemeinde: Herr, gib uns deinen Frieden … (gesungen, EG 436) - 1. Kerze wird entzündet
Lebendiger Gott, mit Erschütterung haben wir das Leid vor dir ausgesprochen, das durch unsere Vorfahren in den Jahren der Nazi-Zeit über jüdische Männer, Frauen und Kinder gebracht wurde. Wir bitten dich für sie und auch für ihre Kinder und Kindeskinder, die bis heute an den Bildern des Schreckens und des Todes leiden, die Schmerz und Angst immer wieder neu überfällt. Wir rufen zu Dir: Gemeinde: Herr, gib uns deinen Frieden … (gesungen, EG 436) - 2. Kerze wird entzündet
Lebendiger Gott, bis heute werden Menschen ausgegrenzt, werden verachtet, weil sie anders sind, anders denken, anders glauben. Lass uns mutig an der Seite derer stehen, die unsere Solidarität brauchen. Wir rufen zu dir:
Gemeinde: Herr, gib uns deinen Frieden … (gesungen, EG 436) - 3. Kerze wird entzündet
Lebendiger Gott, schenke den Menschen in Israel und in Palästina einen dauerhaften Frieden, der allen Menschen ein Leben in Würde und Sicherheit ermöglicht, seien sie Juden, Muslime oder Christen. Für alle Regionen dieser Erde, in denen Konflikte und Kriege toben bitten wir dich: Setze den Verhärtungen und dem Hass unter den Menschen ein Ende. Wir rufen zu dir:
Gemeinde: Herr, gib uns deinen Frieden … (gesungen, EG 436) - 4. Kerze wird entzündet
Lebendiger Gott, lass uns mit den jüdischen Brüdern und Schwestern und allen Menschen guten Willens nach unserer gemeinsamen Verantwortung in dieser Welt fragen. Gib uns den Mut und die Tatkraft, uns einzusetzen für die Bewahrung der Erde und die Stärkung des Friedens. Wir rufen zu dir: Gemeinde: Herr, gib uns deinen Frieden … (gesungen, EG 436) - 5. Kerze wird entzündet
Das erbitten wir von dir, Gott, dem Vater, unserer Lebensquelle, im Vertrauen auf Jesus Christus, unserer Hoffnung und durch sein Wirken im Heiligen Geist, unserer Kraft: (i)
Vaterunser
Lied zum Ausgang: Lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehn (EG. E 30 oder EG Wü 658,1-4)
oder ein anderes Lied
[ Abkündigungen ] - Aufruf
Wir können heute die Ereignisse von damals nicht ungeschehen machen. Aber wir können uns eingestehen, dass wir nicht frei sind angesichts der Verstrickungen, in denen wir uns befinden. Doch wir stehen unter der Zusage unseres Herrn, Jesus Christus: „Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch freimachen“.
Lasst uns in dieser Zuversicht aus dem Gedenken eine Wachsamkeit für heute gewinnen.
– Wachsamkeit gegenüber den Nachfahren der Opfer.
– Wachsamkeit gegenüber Menschenrechtsverletzungen, die sich in unserem Ort, in unserer Stadt innerhalb unseres Blickfelds ereignen.
– Wachsamkeit gegenüber einem Wiederaufleben der alten nationalistischen Muster in neuem Gewand!
– Wachsamkeit gegenüber der Diskriminierung anders denkender oder anders gläubiger Menschen. Lasst uns als Zeichen unserer entschlossenen Wachsamkeit einander die Hand reichen und den Frieden zusprechen! (In der Gemeinde gibt man sich ein Zeichen des Friedens) (k)
Friedensbitte: Verleih uns Frieden gnädiglich - EG 421 ]
Segenswunsch
Der Herr segne uns mit allem Guten und bewahre uns vor allem Bösen. Er erleuchte unsere Herzen mit der Einsicht, die zum Leben führt. Und er begnade uns mit ewiger Erkenntnis und erhebe sein huldvolles Angesicht für uns zum ewigen Frieden. (l)
Nachspiel oder Stille
Gestaltung einer Buß-Vesper mit dem Evangelischen Tagzeitenbuch
Ps 74 Erhebe dich, o Gott tzb 351
Ps 79 Hilf uns, du Gott unsres Heiles. Vergib uns ... tzb 355
Ps 102 A HERR , höre auf mein Beten tzb 353
Resp AT HERR weise mir deinen Weg tzb 219
Resp Ep Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz tzb 519
Resp Ev Wir haben gegen dich gesündigt tzb 521
Statt Hymnus und Magnificat:
Ps 51 An dir allein habe ich gesündigt tzb 900
Kyrie-Tropos Kyrie, Vater allerhöchster Gott tzb 901
Anhang
Aus der Gemeinsamen Erklärung zum 70. Jahrestag der November-Pogrome
durch die Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Deutschen Bischofskonferenz vom 7.11.2008:
Der 9. November 1938 steht „für Hass und Gewalt, für Niedertracht und das Erblinden des Gewissens. Er war ein Widerruf jener Freiheitsversprechen, mit denen die erste deutsche Republik einst angetreten war, und bedeutete für die deutschen Juden, dass sie keine sichere Heimstatt im eigenen Lande mehr besaßen. In den November-Pogromen von 1938 wurden wehrlose Menschen gedemütigt, gepeinigt und ermordet, Gotteshäuser geschändet und zerstört. Die schrecklichen Bilder von brennenden Synagogen haben sich in unser Gedächtnis gebrannt. Sie lehren auch heute: Wo es keinen Respekt vor dem Heiligen und dem für den menschlichen Zugriff Unverfügbaren gibt, dort gibt es auch keinen Respekt vor den Menschen.
Die Pogrome waren nicht nur bewusst geplant, sondern ihnen gingen auch Jahre der propagandistischen und politischen Vorbereitung voraus – eine Zeit der offenen antisemitischen Hetze, der systematischen rechtlichen Ausgrenzung, menschenverachtenden Diskriminierung und Verfolgung. Die November-Pogrome waren zugleich der Auftakt zum Holocaust, zu einer Epoche ungeahnter Zerstörung und Vernichtung, an deren Folgen Europa, die Welt und vor allem die jüdische Gemeinschaft noch heute zu tragen haben. Unzählige Menschen sind Opfer des Nationalsozialismus geworden. Anlässlich der Pogrome des Jahres 1938 richtet sich unser Gedenken besonders auf die Juden, deren systematische Verfolgung und Ermordung ein beispielloses Menschheitsverbrechen darstellen. Ihr Leiden, ihre Einsamkeit und ihre Verzweiflung angesichts einer Gewaltmaschinerie, die mit Demütigung und Entrechtung begann und mehr und mehr von absolutem Vernichtungswillen angetrieben wurde, erfüllen uns mit Bestürzung und Trauer. ..
Unsere Erinnerung an die Reichspogromnacht 1938 würde ins Leere laufen, wenn wir sie nicht mit der Frage nach der praktischen Solidarität verbänden, die wir den in unserer Zeit zu Unrecht Verfolgten und den Opfern von Gewalt schulden. Leider sind Antisemitismus und Rassismus auch heute nicht überwunden. Auch in Europa prägen Ausgrenzung und Diskriminierung den Alltag vieler Menschen. Die Sünde der Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid der Anderen stirbt nicht aus. Allzu schnell legt sich der Schleier der Abgrenzung über unsere Augen und versperrt die Sicht auf das Antlitz des Nächsten. Jedem Menschen, gleich welcher Hautfarbe, Volkszugehörigkeit oder Religion, ist das Bild Gottes eingeprägt. Keiner darf preisgegeben werden. Davon in Wort und Tat Zeugnis abzulegen, sind wir als Christen in besonderer Weise gefordert. Die Erinnerung an die Schreckensnacht und ihre Folgen ist gerade auch heute, da die Zeitzeugen allmählich verstummen, von großer Bedeutung. Mahnt sie uns doch, alles zu tun, um eine Gesellschaft in Freiheit und gegenseitiger Achtung zu gestalten, die sich ihrer Verantwortung vor Gott und den Menschen stellt. (m)
*
aus dem Perikopenbuch zur neuen Ordnung gottesdienstlicher Texte und Lieder (2018)
Kontext (zum Proprium „Gedenken an die Novemberpogrome“)
Auch heute laden wir durch eigene Untätigkeit wider besseres Wissen Schuld auf uns; wenn wir uns nicht für andere einsetzen, weil wir negative Konsequenzen für unser Leben fürchten, oder wenn uns das Schicksal anderer Menschen gleichgültig lässt. Die Texte und Lieder des Tages [zum Gedenken an die Novemberpogrome 1938] beschönigen nichts, stellen uns aber in tröstlicher Weise Menschen wie Petrus an die Seite, den Jesus trotz seiner Schuld nicht verstößt (Joh 21,15.19)
Der Gedenktag erinnert an die Verbrechen in der Nacht vom 9. Auf den 10. November 1938, als zahlreiche Synagogen und andere jüdische Einrichtungen in Brand gesteckt wurden. Tausende Jüdinnen und Juden wurden misshandelt, verhaftet oder getötet. Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges sind geschätzt sechs Millionen Menschen der staatlich verordneten Judenvernichtung unter der nationalsozialistischen Herrschaft zum Opfer gefallen.
Der 9.11. gilt als ‚Schicksalstag’ der deutschen Geschichte. Er markiert neben dem Terror gegen die jüdische Bevölkerung (1938) auch den Beginn der ersten deutschen Republik (1918) und dem Fall der Berliner Mauer (1939). In Parlamenten werden Reden gehalten, an Gedenkstätten Kränze niedergelegt, in jüdischen Gemeinden die Namen von Opfern verlesen. Der Tag ist damit sowohl ein Aufruf, das Geschenk von Demokratie und Freiheit zu würdigen, als auch eine bleibende Mahnung, von Anfang an entschieden und unzweideutig Farbe zu bekennen, wenn in unserer Gesellschaft oder in anderen Ländern Menschen benachteiligt, missachtet oder bedroht werden. (n)
Quellen und Vorlagen
Soweit nicht anders angegeben sind Bibelverse wörtlich zitiert aus: Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung – revidiert 2017, © 2017, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
[ ] In Klammern gesetzte Stücke können entfallen
a vgl. Ergänzungsband zum Württembergischen Gottesdienstbuch, Stuttgart 2004, S. 138 -
Reformierte Liturgie, Wuppertal 1999, S. 153 (S. Bukowski)
B vgl. Aktion Sühnezeichen – Friedensdekade 2018, S. 26
c vgl. Reformierte Liturgie, Wuppertal 1999m S. 181
d vgl. Ergänzungsband zum Württembergischen Gottesdienstbuch, Stuttgart 2004, S. 137 -
Reformierte Liturgie, Wuppertal 1999, S. 152 (S. Bukowski)
e vgl. Ergänzungsband zum Württembergischen Gottesdienstbuch, Stuttgart 2004, S. 138
f vgl. Aktion Sühnezeichen – Friedensdekade 2018, S. 27
g z.B. „Erinnerungen“ im Entwurf „Erinnerung und Verantwortung“ im Entwurf der ACK Baden-Württemberg zum 9. November 2018 https://ackbw.de/html/content/gedenken_novemberprogrome.html?t=n5rpe7u918a0r481s63t3v22t6&tto=b83b0248&&
z.B. aus der Gemeinsamen Erklärung von EKD und Bischofskonferenz (2008) (s. Anhang)
z.B. Erklärung der Evangelischen Landeskirche in Norddeutschland (s. Anhang)
z.B. Texte in der Arbeitshilfe „... dass ihr recht handelt einer gegen den andern“, Bad Boll 2013
z.B. Berichte von örtlichen Geschehnissen;
z.B. Texte aus dem Heft „Erinnerung und Umkehr“ der ACK Baden-Württemberg von 2018
h vgl. Ergänzungsband zum Württembergischen Gottesdienstbuch, Stuttgart 2004, S. 137-
Gesellschaft für jüdisch-christliche Zusammenarbeit, München 1988
i vgl. Entwurf „Erinnerung und Verantwortung“ ACK Baden-Württemberg 2018 (s.o.)
k vgl. Entwurf „Erinnerung und Verantwortung“ ACK Baden-Württemberg 2018 (s.o.)
l vgl. Hessische Agende, Darmstadt 2001, S. 390 (nach Klaus Berger, Psalmen aus Qumran, Stuttgart 1994, S. 19)
m vgl. http://www.ekd.de/download/erklaerung_novemberprogrom.pdf
n vgl. (Hg) Liturgische Konferenz für die Evangelische Kirche in Deutschland
Perikopenbuch zur neuen Ordnung gottesdienstlicher Texte und Lieder (2018)
Bielefeld / Leipzig 2018, nach S. 662