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22. Oktober 2015


Paul Tillich (rot), Theologe auf der Grenze

Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise, dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin. 1.Kor 13,12



Abendgebet 

(mit Elementen der Tagzeitenliturgie bzw. Taizegesängen)


[ Vorspiel ]


Eröffnung (Begrüßung) 

Gnade sei mit uns und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. R: Amen.
Wir gedenken heute an Paul Johannes Tillich, der vor 50 Jahren am 22. Oktober 1965 in Chicago (USA) verstorben ist. Er war am 20. August 1886 im Starzeddel, Landkreis Gruben (damals zu Preußen gehörig, heute in Polen) geboren. Er gilt als bedeutender evangelischer Theologe (Dogmatiker) und Religionsphilosoph und war zunächst in Deutschland und – nach seiner Emigration 1933 - in den Vereinigten Staaten tätig. Tillich gehört − zusammen mit den Protestanten Barth, Bonhoeffer und Bultmann sowie dem Katholiken Karl Rahner zum Kreis einflussreicher deutscher Theologen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sein Wirken an der Harvard University und der Universität von Chicago begründeten seinen weltweiten Ruf, der auch aus der umfangreichen internationalen Sekundärliteratur sichtbar wird. Helmut Thielicke hat Tillich als „Wanderer zwischen den Welten“ bezeichnet, Horst Bürkle als „Vermittlungstheologen“; Friedrich Mildenberger sprach vom „Denker auf der Grenze“. Ihm ist es mit seiner Methode der Korrelation von Frage und Antwort, Situation und Botschaft wie kaum jemand anderem gelungen, die existentiellen Fragen seiner Zeit aufzugreifen und sie als religiöse Fragen zu formulieren. Er suchte aufzuzeigen, dass die Symbole der christlichen Botschaft attraktive und nach wie vor aktuelle Antworten auf diese Fragen sind. Besondere Bedeutung für die Theologie, die Religionspädagogik und die Auseinandersetzung des Christentums mit anderen Religionen hat seine Bestimmung des Verhältnisses von Glaube und Mythos. „Ein Glaube, der ..., der um den symbolischen Charakter seiner Symbole weiß, gibt Gott die Ehre, die ihm gebührt.“ – „Das Christentum schließt seinem eigentlichen Wesen nach jeden ungebrochenen Mythos aus, denn seine Grundlage ist der Inhalt des ersten und höchsten Gebotes, die Unbedingtheit des Unbedingten anzuerkennen und jede Art von Götzendienst abzulehnen.“ (P. Tillich, Wesen und Wandel des Glaubens, 1961) Das bedeutet aber für Tillich durchaus nicht, dass das Christentum in seiner Geschichte diesem Wesen immer treu geblieben ist. (a)


(oder) Eröffnung 

mit Ingressus: Herr, bleibe bei uns (EGWü 781.1 )

oder Taizegesang: Laudate omnes gentes (EG 181.6)


Psalmgebet (gesprochen)

Votum: O welch eine Tiefe  des Reichtums, beides der Weisheit und der Erkenntnis Gottes. Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen. Röm 11,33.36

Psalm 139 – Herr, du erforschest mich (EG Wü 754)


oder Psalmodie (gesungen)
Leitvers: Lobet den Namen des Herrn, sein Name allein ist erhaben.
Psalm 148 – Halleluja. Lobet im Himmel den Herrn (EG Wü 779.2)


[ Tagesgebet

Beten wir in der Stille zu Gott, dem Grund allen Seins: - Stille -

Ewiger, du Ursprung aller Weisheit und Erkenntnis. Wir danken dir dafür, dass du deiner Kirche theologische Lehrer wie Paul Tillich geschenkt hast. Wir danken dir für sein Streben nach Wahrheit und das Bemühen, gegenwärtige Fragen der Menschen aufzugreifen, sie mit der christlichen Überlieferung zu vermitteln und zum Leben aus dem Glauben zu ermutigen. Gib uns immer neu Männer und Frauen, die helfen, deine Wahrheit zu erkennen und gewiss zu werden im Vertrauen auf Jesus Christus, deinen Sohn, unsern Retter und Herrn. (b)


Schriftlesung: Philipper 2,(5)6-11 – Er, der in göttlicher Gestalt war...


Antwortgesang

mit Responsorium: Weise mir, Herr, deinen Weg (EG Wü 779.3)

oder Taizegesang: Oculi nostri ad Dominum Deum (EG Wü 787.6)


Evangelium:  Johannes 1,1-5.9-14.16-18  - Das Wort ward Fleisch


Stille oder Betrachtung oder Vita (c) 


Lied: Der Tag, mein Gott, ist nun vergangen  (EG 266,1-5)

oder Allein Gott in der Höh sei Ehr’ (EG 179,1-4)

oder ein anderes Lied

Lobgesang

Magnificat: Christus, unsern Heiland, ewigen Gott, Marien Sohn ... (EGWü 781.6)

oder Taizegesang: Magnificat (EGWü 573)


Fürbitten 

Ewige, barmherziger Gott, in deinem Sohn wohnt die Fülle der Gottheit leibhaftig und alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis liegen in ihm verborgen liegen. Durch deinen heiligen Geist, den Geist des Rates und der Stärke, schenkst du uns die Gnade,  im Glauben zu wurzeln und zu wachsen. Leite uns und helfe uns. Wir bitten:

R: Herr erbarme dich.

Komm in unser Schweigen und mach uns offen für dich. Komm in unser Ahnen und vertiefe uns. Wir bitten:

R: Herr erbarme dich.

Komm in unser Fragen und bewege uns. Komm in unser Hören und rühre uns an. Wir bitten:

R: Herr erbarme dich.

Komm in unser Besinnen und mache uns betroffen. Komm in unser Denken und erleuchte uns. Wir bitten:

R: Herr erbarme dich.

Komm in unser Reden und sprich durch uns. Komm in unser Lehren und lehre selbst durch uns. Wir bitten:

R: Herr erbarme dich.

Komm in unser Leben und mache es zu einem Zeugnis deiner Wahrheit und Liebe. Komm in unser Sterben und mach es zu einer Offenbarung deiner Herrlichkeit. Wir bitten:

R: Herr erbarme dich.

Barmherziger Gott, du hast uns in Jesus, dem Christus, deine Liebe offenbart. Hilf uns durch Verkündigung und Lehre, zu Vertrauen und Einsicht zu finden und ermutige uns, weiterzuschreiten auf dem Weg zu dir, durch ihn, unsern Retter und Herrn. (d)


Vaterunser


Segensbitte

mit Schlussstrophe: Lass mich dein sein und bleiben (EG 157)

oder Taizegesang: Bleib mit deiner Gnade bei uns (EGWü 787.8)  


Segen   [ Nachspiel ]


Anhang

Sein Lebensthema war die Grenze. Der Theologe Paul Tillich schlug Brücken zwischen den USA und Europa, zwischen Theologie und Philosophie, Kirche und Gesellschaft, Katholiken und Protestanten sowie Religion und Kunst. ... am 20. August 1886 wurde er in Starzeddel geboren, einem kleinen Ort im heutigen Polen. Als er am 22. Oktober 1965 in Chicago starb, war Tillich in Amerika so berühmt, dass die Nachrichtenagentur UPI eine Sendung unterbrach, um seinen Tod zu melden.  

Als Vertreter des religiösen Sozialismus musste Tillich 1933 gemeinsam mit seiner Frau Hannah aus Deutschland emigrieren. Er lehrte in New York, in Harvard und schließlich in Chicago. In den USA wurde er bald zum führenden theologischen Denker und Gelehrten - trotz seiner bis zuletzt anhaltenden Schwierigkeiten mit der amerikanischen Sprache. Ein Zeitgenosse erinnerte sich: "Englisch war für ihn leicht zu lesen, schwer zu verstehen und außerordentlich schwer zu sprechen; das Sprechen war für ihn eine einzige Tortur." 

Dennoch muss er sich in den USA wohlgefühlt haben, ein Asket war er offenbar auch nicht: Seine Ehefrau Hannah schreibt in ihren Lebenserinnerungen: "Wir nahmen immer einen Cocktail vor dem Essen. Mittags bevorzugte Paulus einen süßen Madeira oder Marsala oder einen Sherry." Später dann, so Hannah Tillich, habe man gelegentlich an einem Cinzano genippt und ferngesehen. 

Der Philosoph Theodor W. Adorno bescheinigte Tillich Mitte der 1960er Jahre, dieser habe mit dem Bild eines moralinsauren protestantischen Pfarrers nichts gemein. Tillichs Wesen war zudem frei von jeder Aggression, erinnerte sich der Theologieprofessor Carl-Heinz Ratschow (1911-1999) an seine Begegnungen mit dem Gelehrten. Auch in seinen Werken, die nach dem Krieg aus dem Amerikanischen erst ins Deutsche übersetzt werden mussten, "gibt es keine Polemik und Rundum-Verteidigung." Der Theologe und Publizist Heinz Zahrnt (1915-2003) schrieb: "Tillich gehört zu den großen spekulativen Geistern, die eben auch große Versöhner sind." 

Und sein Biograf Gerhard Wehr bilanzierte, Tillich weise als religiöser Denker einen Weg zur Ganzheit. Mit seiner Deutung der christlichen Botschaft als das, "was uns unbedingt angeht" erreichte er auch Menschen abseits der Kirchen. Religiöse Inhalte müssen den Menschen "unmittelbar berühren", damit sie verstanden werden. 

Die Menschen in der Moderne, war sich Tillich sicher, werden noch immer von den Fragen bewegt, "die sie schon vor zweitausend und mehr Jahren bewegt haben: die Frage nach der Schuld, die Frage nach der Liebe, nach der Gerechtigkeit in der Welt, nach dem Sinn des Lebens, nach dem Tod". 

Die erschütternden Erfahrungen im Ersten Weltkrieg als Feldprediger veranlassten Tillich zu einer völligen Neuorientierung seiner Weltanschauung. Der idealistische Fortschrittsglaube des 19. Jahrhunderts fand für ihn auf den Schlachtfeldern von Verdun ein Ende. Wahrer Glaube war für Tillich "Mut zum Sein" - dies ist auch der Titel einer seiner bekanntesten Schriften. Das bedeutete für Tillich vor allem Mut, der Verzweiflung standzuhalten. 

Dem traditionellen Gottesbild, das sich ein höchstes Wesen vorstellt, gab Tillich eine Absage: Gott erscheine den Menschen oft erst dann, wenn Gott bereits "in der Angst des Zweifels untergegangen ist". Im Grundzustand, beschrieb Tillich, sei jeder Mensch entfremdet - von Gott, von anderen und von sich selbst. 

Kirche verstand er vor allem als spirituelle Gemeinschaft: "Eine Kirche, die nichts anderes ist als eine wohlwollende, sozial nützliche Gruppe, sollte durch andere Gruppen ersetzt werden, die nicht den Anspruch haben, Kirche zu sein. Eine solche Kirche hat keine Existenzberechtigung." 

Als Religionsphilosoph deutete Tillich - der sich Zeit seines Lebens klar zum Luthertum zählte - das Christentum nach den Krisen des 20. Jahrhunderts neu. Die christliche Kultur sei zwar nicht das Reich Gottes, "aber sie ist eine ständige Mahnung an das Reich Gottes." 

Im "Paul Tillich Park" in New Harmony im US-Bundesstaat Indiana erinnert heute eine Büste an einen der großen Denker des 20. Jahrhunderts. In dem Park wurde seine Asche am Pfingsttag 1966 bei Sonnenaufgang beigesetzt. 

In New Harmony erprobten bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts ausgewanderte Europäer genossenschaftliche Produktions- und Lebensformen, die einen christlichen utopischen Sozialismus vorwegnehmen sollten. Doch Tillichs Lebenswerk hat bis heute noch nicht den rechten Durchbruch erfahren. Seine Leistung für eine Erneuerung der protestantischen Theologie sei noch im Kommen, meinen viele. (epd) (e)



Quellen und Vorlagen


Soweit nicht anders angegeben sind Bibelverse wörtlich zitiert aus: Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers in der revidierten Fassung von 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung, © 1999, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart

[ ] in Klammern gesetzte Stücke können entfallen
a vgl. wikipedia zu Paul Tillich
b vgl. Evangelisches Gottesdienstbuch, 2000, S. 483
c vgl. Anhang
d vgl. Lutherische Liturgische Konferenz in Bayern, Liturgische Entwürfe für das Kirchenjahr, Heft 4, Nürnberg 2000, S. 24 und 26
e https://www.ekd.de/aktuell/77710.html