27. Januar 2018
Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus (violett) Bleibende Erinnerung und Mahnung
Hüte dich und bewahre deine Seele gut, dass du nicht vergisst, was deine Augen gesehen haben, und dass es nicht aus deinem Herzen kommt dein ganzes Leben lang. Und du sollst deinen Kindern und Kindeskindern kundtun. 5.Mos 4,9
Der 27. Januar soll künftig auch kirchlich als alljährlicher Gedenktag begangen werden, der in Unterschied zum 9. November nicht nur an die nationalsozialistisch organisierte und gelenkte Gewaltmaßnahmen gegen Juden im gesamten Deutschen Reich erinnert, sondern alle Opfergruppen des Nationalsozialismus im Blick hat, wie sie beispielhaft 1985 in der Rede des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zum Kriegsende genannt wurden. Es gab bereits verschiedene Entwürfe zur Gestaltung dieses Tages, der im Zuge der Perikopenrevision neu eingeführt wird. Es ist zu erwarten, dass von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zeitnah Vorschläge und Materialien zur Gestaltung der kirchlichen Erinnerung dieses Tages veröffentlicht werden.
Predigtgottesdienst / Bußfeier
Vorspiel oder Stille
Eröffnung (Begrüßung)
Im Namen Gottes, des Schöpfers, der jeden Menschen zu seinem Gegenüber berufen und mit Würde, Lebensrecht und Freiheit gesegnet hat. Im Namen Jesus Christi, der als Künder des Reiches Gottes sich den Armen, Ausgegrenzten, Leidenden und Sündern zugewandt und Versöhnung unter die Menschen gebracht hat. Im Namen des Heiligen Geistes, der als Gotteskraft zu Verantwortung und Einsicht ermutigt und in Barmherzigkeit trösten will. R: Amen.
Auch in der Kirche wollen wir heute am 27. Januar mit dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus an alle Opfer eines beispiellosen totalitären Regimes während der Zeit des Nationalsozialismus erinnern: „Juden, Christen, Sinti und Roma, Menschen mit Behinderung, Homosexuelle, politisch Andersdenkende sowie Männer und Frauen des Widerstandes, Wissenschaftler, Künstler, Journalisten, Kriegsgefangene und Deserteure, Greise und Kinder an der Front, Zwangsarbeiter und an die Millionen Menschen, die unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft entrechtet, verfolgt, gequält und ermordet wurden.“ Als dieser bundesweite, gesetzlich verankerte Gedenktag im Jahres 1999 von damaligen Bundespräsident proklamiert wurde, führte er aus: „Die Erinnerung darf nicht enden; sie muss auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen. Es ist deshalb wichtig, nun eine Form des Erinnerns zu finden, die in die Zukunft wirkt. Sie soll Trauer über Leid und Verlust ausdrücken, dem Gedenken an die Opfer gewidmet sein und jeder Gefahr der Wiederholung entgegenwirken.“ (a) Der Termin erinnert zugleich daran, dass m 27. Januar 1945 Soldaten der Roten Armee die Überlebenden des KZ Auschwitz-Birkenau, des größten Vernichtungslagers des Nazi-Regimes befreiten.
Lied zum Eingang: Nimm von uns, Herr, du treuer Gott (EG 146,1-3)
Anrufung
Votum: So spricht Gott, der HERR: Hüte dich und bewahre deine Seele gut, dass du nicht vergisst, was deine Augen gesehen haben, und dass es nicht aus deinem Herzen kommt dein ganzes Leben lang. Und du sollst deinen Kindern und Kindeskindern kundtun. 5.Mos 4,9 (Wir rufen)
R: Heiliger Herre Gott... (EG 185.4)
Gedenken wollen wir der Vergessenen, der Verdrängten, denen man das Leben genommen hat, nachdem man ihnen den Namen stahl, nachdem man ihnen die Würde geraubt hatte, nachdem ihnen aller Besitz genommen war, nachdem man sie aus Freundschaft und Verwandtschaft gerissen hatte. (Wir rufen)
R: Heiliger Herre Gott... (EG 185.4)
Gedenken wollen wir der Vergessenen, der Verdrängten, denen man kein Grab gelassen hatte, deren Tod und Ermordung man leugnete, von deren Elend man nicht gewusst haben will, denen man noch heute unentwegt Böses zutraut, die bis heute unter den Bildern von damals leiden. (Wir rufen)
R: Heiliger Herre Gott... (EG 185.4)
Gedenken wollen wir der jüdischen Kinder, Frauen und Männer, denen man das Recht zum Leben nahm, der Sinti und Roma, der Ernsten Bibelforscher und Pazifisten, der Behinderten und geistig Erkrankten, der Schwulen und Lesben, aller, denen man die Menschenwürde raubte. (Wir rufen)
R: Heiliger Herre Gott... (EG 185.4)
Gedenken wollen wir besonders der Kinder, als man sie aus den Schulen jagte, als man ihnen die Straßenbahn verwehrte, als man sie in die Viehwaggons pferchte, als man sie zu Experimenten missbrauchte und sie unter schwerer Arbeit verhungern ließ. (Wir rufen)
R: Heiliger Herre Gott... (EG 185.4)
Gedenken wird uns schwer – die Zukunft braucht ein langes Gedächtnis. Wir suchen uns dem zu stellen. (Wir rufen) (b)
R: Heiliger Herre Gott... (EG 185.4)
Tagesgebet
Beten wir weiter in der Stille vor Gott, dem Richter der Welt.
Gnädiger und barmherziger Gott. Mit diesem Tag werden wir erinnert an das Grauen, das durch die nationalsozialistische Herrschaft in Deutschland über Europa gebracht wurde und dem viele Millionen von Menschen zum Opfer gefallen sind. Es fällt uns schwer, diese Verbrechen als Teil unserer Geschichte anzunehmen und zu begreifen, was Angehörige unseres Volkes anderen Menschen angetan haben. Mache uns empfindsam für den bleibenden Schmerz und den Zweifel an der Menschlichkeit des Menschen. Mache uns wachsam gegen alte und neue Feindbilder. Lass aus der Erinnerung an das Böse Kraft zum Guten erwachsen und ermutige uns, der Möglichkeit von Vergebung und Versöhnung etwas zuzutrauen. So bitten wir um Jesu Christi willen, unseres Retters und Herrn. (c)
Tora: 1. Mose 4,1-10 – Wo ist dein Bruder Abel
Graduale: Psalm 124,1-8 - Wäre der HERR nicht bei uns – so sage Israel –
oder ein anderer Antwortgesang
Epistel: 1. Johannes 2,9-11 – Wer seinen Bruder hasst, der ist in der Finsternis
Traktus: Joel 2,12.13
Auch jetzt noch, spricht der HERR, kehrt um zu mir *
von ganzem Herzen mit Fasten, mit Weinen, mit Klagen.
Zerreißt eure Herzen und nicht eure Kleider /
und kehrt um zu dem HERRN, eurem Gott ! *
Denn er ist gnädig, barmherzig, geduldig und von großer Güte.
oder ein anderer Antwortgesang
Evangelium: Matthäus 10,26b-28(29-31) - Fürchtet euch vor dem, der Leib und Seele vernichten kann
Lied des Tages: Freunde, dass der Mandelzweig (EG 412)
oder Wir beten für den Frieden (EG West 678)
Ansprache / Predigt zu Matthäus 10,26b-28(29-31) –
Fürchtet euch vor dem, der Leib und Seele vernichten kann
ggf. unter Verwendung von Impulsen aus der Ansprache des Bundespräsidenten Gauck vom 27.1.2015
(s. Anhang)
Besinnung (Musik oder Stille oder Lied)
[ Bekenntnis
Aufruf: Angesichts der Opfer des Nationalsozialismus erkennen wir auch unsere Verstrickung in Unrecht und Schuld und bekennen vor Gott: Wir liegen vor dir mit unserem Gebet und vertrauen nicht auf unsere Gerechtigkeit, sondern auf deine große Barmherzigkeit“ (Dan 9,18)
Psalm 51: Gott sei mir gnädig nach deiner Güte (EG 729)]
Fürbitten
Auch an diesem Tag danken wir dir, Gott, dass wir Sprache haben, den Schmerz zu beklagen, das Notwendige zu erbitten und das Schöne zu besingen. Wir danken dir, Gott, dass wir nicht beredt sein müssen, nicht wortgewaltig und laut, sondern dass du hörst - auch unsere gestammelten und geflüsterten Gebete. Wir danken dir, Gott, dass wir so unser umtriebiges Leben unterbrechen und uns im Besinnen, Prüfen und Umkehren uns der Verantwortung vor dir stellen können. Wir rufen:
G: Kyrie eleison
So wollen wir an diesem Tag der Gewalt eines beispiellosen totalitären Regimes während der Zeit des Nationalsozialismus und seiner Opfer gedenken: Gib, dass diese Erinnerung nicht endet, sondern auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnt. Hilf uns, lebendige Formen des Erinnerns zu finden, die in die Zukunft wirken. Von Trauer über Leid und Verlust bewegt, widmen wir unser Gedenken den verschiedenen Gruppen der Opfer. Lass uns achtsam und einsatzbereit der Gefahr der Wiederholung entgegenwirken. Wir rufen:
G: Kyrie eleison
Wir bitten dich, Gott: Gib – auch durch unsern Beitrag – den Benachteiligten deine Gerechtigkeit, den Stummgemachten deine Stimme, den Engstirnigen deine Weite, den Mutlosen deine Stärke, den Mächtigen diene Weisheit, den Gereizten deine Stille, den Flüchtenden deinen Schutz, den Kindern deine Geborgenheit, den Schmerzgeplagten deine Nähe, den Sterbenden dein Licht. Wir rufen:
G: Kyrie eleison
Und wir bitten: Lass unser Gebet mehr sein als Ansammlung von Wünschen, als Pflichterfüllung aus Tradition, als Denkleistung – vielmehr sei es erfüllt von der Bewegung unserer Herzen. Lege uns Worte in den Mund, die über das hinausreichen, was menschlich erreichbar ist. Mache unser Gebet stark und uns selber lebendig. Vor dir werden wir still: (d)
- Stille –
Wir machen uns die Worte Jesu zu eigen:
Vaterunser
Lied zum Ausgang: Lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehn - EG Wü 658,1-4
oder ein anderes Lied
[ Abkündigungen - Friedensbitte: Verleih uns Frieden gnädiglich - EG 421 ]
Segenswunsch
Der Herr segne uns mit allem Guten und bewahre uns vor allem Bösen. Er erleuchte unsere Herzen mit der Einsicht, die zum Leben führt. Und er begnade uns mit wahrer Erkenntnis und erhebe sein huldvolles Angesicht für uns zum ewigen Frieden. (e)
Nachspiel oder Stille
Gestaltung mit dem Evangelischen Tagzeitenbuch
Ps 51 Bekehrt euch zum Herrn von ganzem Herzen tzb 520
Ps 74 Erhebe dich, o Gott tzb 351
Ps 102 A HERR , höre auf mein Beten tzb 353
Resp AT HERR weise mir deinen Weg tzb 219
Resp Ep Wir haben gegen dich gesündigt tzb 521
Resp Ev Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz tzb 519
Statt Hymnus und Magnificat:
Ps 79 Hilf uns, du Gott unsres Heiles. Vergib uns ... tzb 355
Kyrie-Tropos Kyrie, Vater allerhöchster Gott tzb 90
Anhang
Bundespräsident Gauck hat am Schluss seiner Rede zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2015 im Bundestag in Berlin erklärt:
„Solange ich lebe, werde ich darunter leiden, dass die deutsche Nation mit ihrer so achtenswerten Kultur zu den ungeheuerlichsten Menschheitsverbrechen fähig war. Selbst eine noch so überzeugende Deutung des schrecklichen Kulturbruchs wäre nicht imstande, mein Herz und meinen Verstand zur Ruhe zu bringen. Denn da ist ein Bruch eingewebt in die Textur unserer nationalen Identität, der im Bewusstsein quälend lebendig bleibt. Wer "in der Wahrheit leben" will, wird dies niemals leugnen.
Und doch können wir nach den dunklen Nächten der Diktatur, nach aller Schuld und später Scham und Reue ein taghelles Credo formulieren.
Wir taten es, als wir dem Recht seine Gültigkeit und seine Würde zurückgaben. Wir taten es, als wir Empathie mit den Opfern entwickelten. Und wir tun es heute, wenn wir uns jeder Art von Ausgrenzung und Gewalt entgegenstellen und jenen, die vor Verfolgung, Krieg und Terror zu uns flüchten, eine sichere Heimstatt bieten.
Die moralische Pflicht, die auf uns liegt, erfüllt sich nicht nur im Erinnern. In uns existiert auch eine tiefe und unauslöschliche Gewissheit: Aus diesem Erinnern ergibt sich ein Auftrag.
Er sagt uns: Schützt und bewahrt die Mitmenschlichkeit. Schützt und bewahrt die Rechte eines jeden Menschen.
Und das sagen wir gerade in Zeiten, in denen wir uns in Deutschland erneut auf das Miteinander unterschiedlicher Kulturen und Religionen zu verständigen haben. Die Gemeinschaft, in der wir alle leben wollen, wird nur dort gedeihen, wo die Würde des Einzelnen geachtet wird und wo Solidarität gelebt wird.“
http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2015/01/150127-Bundestag-Gedenken.html
Quellen und Vorlagen
Soweit nicht anders angegeben sind Bibelverse wörtlich zitiert aus: Die Bibel nach Martin Luthers
Übersetzung – revidiert 2017, © 2017, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
[ ] In Klammern gesetzte Stücke können entfallen
a vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Tag_des_Gedenkens_an_die_Opfer_des_Nationalsozialismus
b vgl. Aktion Sühnezeichen – Friedensdienste Gestaltungshilfe für den 27. Januar 2009
c vgl. Ergänzungsband zum Württembergischen Gottesdienstbuch, Stuttgart 2005, S. 138.2
d vgl. Aktion Sühnezeichen – Friedensdienste Gestaltungshilfe für den 27. Januar 2012
e vgl. Hessische Agende, Darmstadt 2001, S. 390 (nach Klaus Berger, Psalmen aus Qumran, Stuttgart 1994, S. 19)